Online am Freitag, 16. April 2021, 18-19.30 Uhr / Friday, April 16th, 6-7.30pm
Vortrag und Diskussion mit / Talk with Prof. Veronika Lipphardt (Freiburg) und Dr. Mihai Surdu (Heidelberg) Moderation: Anja Reuss (Berlin, Zentralrat Deutscher Sinti und Roma)
Genetische Untersuchungen an Roma haben eine über 100 Jahre alte Forschungsgeschichte. Anhand von ca. 440 Studien, d.h. populations-, medizin- und forensisch-genetischen Untersuchungen an Romnja und Roma, zeigen wir, dass viele dieser Publikationen sowohl methodische und konzeptionelle Maßstäbe der Repräsentativität als auch ethische Standards vernachlässigen. Dies gilt auch für DNA-Studien, die seit 1990 erschienen sind. Auf der epistemischen Ebene hinterfragen wir die Darstellung von Roma als “genetisches Isolat” und die ihr zugrundeliegenden Konzepte, wobei wir insbesondere die Strategien der Datenerhebungen in den Blick nehmen. Auf der ethischen Ebene zeigen wir, dass vor allem forensische Studien und Datensätze selten ethische Anforderungen erfüllen. Außerdem verdeutlichen wir, dass das außergewöhnlich starke Interesse der forensischen Genetik an Roma dazu beiträgt, sie als „suspect population“ zu stigmatisieren. Wir stellen einen allgemeinen Mangel an Transparenz und ethischer Sensibilität für DNA-Daten von Roma in genetischen Studien und vor allem in forensisch-genetischen Forschungskontexten fest. Für mehrere Studien werden Ko-Autor*innen aufgeführt, die mit Ermittlungsbehörden oder dem Militär in Verbindung stehen. Für einige Daten wurde die Zustimmung der ProbandInnen möglicherweise für andere als forensische Zwecke eingeholt. Auch medizin- und populationsgenetische Studien über Roma erfüllen nicht immer die ethischen Anforderungen. In einigen Fällen verbergen Praktiken der gemeinsamen Datennutzung und eine intransparente Berichterstattung möglicherweise das, was wir “Datenwäsche” nennen.
Wir diskutieren unsere Ergebnisse vor dem Hintergrund der optimistischen Prognose Roger Brubakers, dass die “neue Genetik” helfen könnte, essentialistische Vorstellungen von Gruppen zu überwinden. Darüber hinaus zeigen wir auf, wie diese Studien auf vielen Ebenen zur Rassifizierung von Romnja und Roma beitragen.
Das Gespräch wird mit der Software Zoom durchgeführt und findet zweisprachig auf Deutsch und Englisch statt. Für die Teilnahme melden Sie sich bitte per E-Mail unter berlin@sintiundroma.de an. Zusätzlich wird die Veranstaltung auf der Facebook- Seite des Bildungsforums gegen Antiziganismus gestreamt.