Pressemitteilung vom 06.10.2023 der Melde- und Informationsstelle MIA
Eine bereits im Jahr 2021 veröffentlichte Studie über Mechanismen des institutionellen Antiziganismus hat in den vergangenen Tagen für mediales Aufsehen gesorgt. Die von der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA) beauftragte und an der Leibniz Universität Hannover durchgeführte Studie der Soziologien Tobias Neuburger und Christian Hinrichs wurde zunächst nur in Fachkreisen rezipiert, schlägt nunmehr aber höhere Wellen.
Nachdem die Stadt Hannover und ihre kommunalen Praktiken der antiziganistischen Ausgrenzung und Marginalisierung als Gegenstand der Studie bekannt geworden sind, bekennen sich verantwortliche Kommunalpolitiker gegen den Antiziganismus. Der Sozialdezernentin Sylvia Bruns zufolge hat die Stadt Hannover den Bereich Wohnen einem neu geschaffenen Fachbereich unterstellt, der sich der menschenwürdigen Unterbringung sowie der gesellschaftlichen Teilhabe zugezogener EU-Bürgerinnen und EU-Bürger verpflichtet habe.
Dr. Guillermo Ruiz, Bundesgeschäftsführer der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA): „Es ist zu begrüßen, dass die politisch Verantwortlichen die in der Studie empirisch nachgewiesenen Praktiken institutioneller Ausgrenzung und Marginalisierung als nicht tragbar anerkennen und sich zu Gegenmaßnahmen entschlossen haben. Es ist zu hoffen, dass den wohlmeinenden Worten auch Taten folgen und dass die prekäre Lebenssituation zahlreicher Menschen verbessert wird.“
Das Jobcenter Hannover jedoch zeigt sich Presseberichten zufolge uneinsichtig, meint sich in den Ergebnissen der Studie nicht wiederzuerkennen und sieht in sich keine Mechanismen institutioneller Ausgrenzung wirken. Den Verantwortlichen mangelt es augenscheinlich an der erforderlichen Sensibilität für die seit vielen Jahren immer wieder durch Betroffene und ihre Selbstorganisationen kritisierten Diskriminierungen – gerade auch in den Jobcentern. Erst im September hat MIA ihren Bericht antiziganistischer Vorfälle des vergangenen Jahres 2022 veröffentlicht. Demnach musste jeder zweite dokumentierte Diskriminierungsfall staatlichen Institutionen wie dem Jobcenter zugeordnet werden.[1]
Zu denjenigen Behörden und staatlichen Institutionen, die immer wieder durch antiziganistische Diskriminierung auffallen, rechnet neben den Jobcentern auch die Polizei. Bereits Ende Juni hat MIA die Verbreitung antiziganistischer Bilder im Lagebericht von Polizei und Justiz zu „Clankriminalität in Niedersachen“ kritisiert.[2] Die im Lagebericht, der durch die Landesregierung vorgestellt und verbreitet wurde, mitunter vorgenommene Ethnisierung von Kriminalität widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien, kriminalisiert die zahlenmäßig größte nationale und europäische Minderheit im Ganzen und liefert die Rechtfertigung für die illegale, aber dennoch alltägliche polizeiliche Praxis des ‚racial profiling‘. Diese diskriminierende Haltung stimmt mit zahlreichen Meldungen wegen racial profiling und unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen aus Städten wie Leer, Osnabrück oder Hannover überein, die regelmäßig bei MIA gemeldet werden.
Um das tatsächliche Ausmaß und die alltäglichen Dimensionen des Antiziganismus besser zu erfassen und schließlich mit adäquaten Maßnahmen bekämpfen zu können, bedarf es eines kontinuierlichen Monitorings antiziganistischer Vorfälle in ganz Niedersachen. Die Landesregierung ist aufgefordert, die erforderlichen Ressourcen zum Aufbau einer regionalen Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) zur Erfassung, Analyse und Dokumentation antiziganistischer Vorfälle in Niedersachsen bereitzustellen.